Gewinnung
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Eine
Stadt unter der Erde.
Die Mitte Deutschlands ist kulturell, aber auch industriell eine Region,
die Außergewöhnliches zu bieten hat. Allein - hier blüht
manches im Verborgenen. Wer wüsste zum Beispiel, dass sich unter den
Tälern und Kuppen der Mittelgebirgslandschaft zwischen den Städten
Fulda, Bad Hersfeld und Eisenach eine der größten zusammenhängenden
Lagerstätten Europas befindet? Wer würde für möglich
halten, dass Bergleute hier tief unter der Tagesoberfläche in hundert
Jahren eine Fläche bearbeitet haben, die so groß ist wie das
Stadtgebiet von München?
Etwa
1000 Quadratkilometer umfasst das Kalirevier. Zum Vergleich: das Rheinische
Braunkohle- und das Saarrevier messen jeweils nur rund 600 Quadratkilometer.
Das Werk Werra der Kali und Salz GmbH ist eines der größten Bergwerke
der Welt und - bezogen auf die Ausdehnung der Grubenfelder und die Förderleistung
- das größte Kaliwerk überhaupt.
Rund
21 Millionen Tonnen kali- und magnesiumhaltige Rohsalze werden hier jährlich
abgebaut und zur Weiterverarbeitung in den Fabriken Hattorf, Wintershall
und Unterbreizbach zu Tage gefördert. Zwischen 500 und 1100 Meter Tiefe
sind mehr als 600 Kilometer befahrbare Strecken gewachsen.
Über
150 Kilometer Bandanlagen transportieren das Salz zu den drei Förderschächten.
Etwa 1100 Fahrzeuge verkehren unterirdisch, werden dort repariert, an zahlreichen
Servicepunkten gewartet und betankt, oder im Reifenlager, das oberirdisch
seinesgleichen sucht, mit neuen Pneus ausgestattet.
Im ,,Rohsalzbunker" des Grubenbetriebes Hattorf/Wintershall, also dem
hessischen Teil des Werkes, arbeitet der zweitgrößte Radlader
der Welt. Seine Schaufel fasst einen Mittelklassewagen und hebt 30 Tonnen.
Der Koloss wurde in Einzelteilen nach unter Tage gebracht und binnen vier
Wochen wieder zusammengesetzt.
Jedoch: In der riesigen Kammer, in welcher der Radlader eingesetzt wird,
wirkt er beinahe winzig.
Allein
der größte der Bunker, in denen das Rohsalz zwischengelagert
wird, damit auch an Wochenenden, wenn im Bergwerk die Arbeit ruht, die Fabriken
Futter haben, misst 200 Meter Länge, 30 Meter Breite und 15 Meter Höhe.
Die
Lüfteranlagen, deren Ventilatoren fast vier Meter Durchmesser haben,
saugen in jeder Minute durch die Schächte Hattorf, Herfa, Grimberg,
Ransbach, Unterbreizbach 1 und vier weitere Schächte der Grube Merkers
100.000 Kubikmeter Luft als "Frischwetter" in das weitverzweigte
Streckennetz und blasen sie gleichzeitig durch 14 Schächte als "Abwetter"
wieder hinaus.
Salz
- ein Geschenk des Meeres
Die Kostbarkeit, die 1600 Bergleute hier unter Tage gewinnen, damit daraus
wertvolle Mineraldünger, Arzneimittel, Lebensmittel oder Auftausalz
werden, bildete sich vor etwa 250 Millionen Jahren.
Große Teile Mitteleuropas waren damals von einem riesigen Meer bedeckt,
in dessen Randbereich das Werra-Fulda-Becken abgetrennt war. In dem heißen,
trockenen Klima, das damals herrschte, verdunstete mehr Wasser, als durch
Niederschläge ersetzt wurde. Der Salzgehalt des Gewässers stieg
immer weiter an, bis die gelösten Mineralien (Karbonate, Sulfate und
Chloride) am Boden des Beckens kristallisierten. In den nachfolgenden erdgeschichtlichen
Epochen wurde das abgelagerte Salz von wasserundurchlässigen Schichten
vor Wiederauflösung geschützt und ist uns deshalb heute als ein
Geschenk des Meeres erhalten. Die rund 300 Meter mächtigen Steinsalzschichten
sind von zwei abbauwürdigen Kaliflözen durchzogen, die zwei bis
vierzehn Meter mächtig sind.
Bunte Salze mit vielfältigen Wertstoffen
Das obere Lager, das im Nordosten des Reviers etwa 400 Meter und im Südwesten
etwa 1000 Meter unter der heutigen Erdoberfläche liegt, heißt
,,Flöz Hessen". Es besteht aus Hartsalz, zum Teil auch aus Carnallitit.
Das untere Lager liegt etwa 60 Meter tiefer. Es heißt ,,Flöz
Thüringen" und besteht zum überwiegenden Teil aus Carnallitit.
Beide Flöze erstrecken sich - unabhängig von ihrem Namen - über
1000 Quadratkilometer in Hessen und Thüringen.
Schichtbeginn
Der Arbeitstag der Bergleute beginnt vor jeder der drei Schichten in der
,,Kaue", in der sie ihre Arbeitskluft anlegen. Zur persönlichen
Ausrüstung gehören außerdem die Kopflampe und der Selbstretter,
der den Bergmann im Ernstfall bis zu 50 Minuten mit Sauerstoff versorgt.
Die Farbe seines Helmes zeigt an, welche Aufgabe der Bergmann hat: Die Aufsichten
tragen weiße Helme, die Schlosser blaue, die Elektriker grüne,
die Männer, die das Salz gewinnen, gelbe, die Kräfte der Grubenwehr
rote und die Sicherheitsbeauftragten orangefarbene.
Über die Schächte Ransbach und Herfa fahren jene 1200 Bergleute
ein, die im Grubenbetrieb der hessischen Standorte Wintershall und Hattorf
arbeiten, über den Schacht Unterbreizbach II jene 300 Bergleute, welche
im Thüringer Teil des Reviers die Bodenschätze gewinnen.
Im Schacht Ransbach dauert die Reise mit dem Förderkorb in 750 bis
800 Meter Tiefe nur eine gute Minute. Der Korb bietet auf seinen vier Etagen
98 Bergleuten Platz und rauscht mit einer Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern
durch den Schacht, der zugleich der Bewetterung dient. Am Füllort angekommen,
besteigen die Bergleute Autos, die sie in ihr Revier bringen.
Labyrinth unter der Erde
Die Fahrt über harte, ebene Salzpisten zu den weit verzweigten Revieren
dauert bis zu einer halben Stunde. Die 12 bis 16 Meter breiten Strecken
folgen dem Verlauf der Lagerstätte. Ebene Abschnitte wechseln mit steilen
Berg- und Talfahrten. Die Reise führt vorbei an untertägigen Tankstellen
und Servicestationen, an Messstationen, die den Kaligehalt im geförderten
Rohsalz messen und folgt kilometerweit scheinbar endlosen Bandanlagen. Immer
wieder neue Strecken kreuzen sich. Zwischen ihnen blieben die Pfeiler aus
Salz stehen. Sie haben eine Seitenlänge bis zu 50 Meter und stützen
das Deckgebirge. Sie sind so dimensioniert, dass sie das Dreifache der tatsächlich
auf ihnen ruhenden Last tragen können.
Im Revier
Nach der für Fremde verwirrenden Fahrt durch das Dunkel treffen sich
die Männer am Revierplatz. Dann wird ,,angebissen. Zu den wichtigsten
Arbeitsmitteln zählen jetzt die Frühstücksdosen im Großformat,
vor allem aber die Getränkeflaschen, denn unter Tage ist es zwar mit
einer Luftfeuchtigkeit von 20 Prozent sehr trocken, aber mit konstant 28
Grad für einen Arbeitsplatz ungewöhnlich warm. Während sich
die Männer stärken, kontrolliert ihr Steiger, ein Bergbauingenieur,
das Revier.
Anschließend teilt er seine Männer zur Arbeit ein. Rund sieben
Stunden Arbeit, unterbrochen von einer halbstündigen Pause, liegen
vor ihnen, bevor sie die Rückfahrt zum Schacht antreten.
Bis dahin verrichtet jeder Bergmann seine Arbeit eigenständig und eigenverantwortlich,
konzentriert und routiniert in dem Bewusstsein, für alle Kumpel Mitverantwortung
zu tragen. Jeder hat den Ansporn, akkurat zu arbeiten, denn ein Arbeitsschritt
baut auf dem anderen auf.
Produktion und Sicherheit
Eine immer wiederkehrende Aufgabe der Bergleute ist das ,,Berauben".
Mit Hilfe von Beraubemaschinen werden oft tonnenschwere Gesteinsbrocken,
die sich im ,,Hangenden", an der Decke der Grubenbaue, oder an den
,,Stößen" - den Wänden - gelockert haben, kontrolliert
gelöst, damit sie nicht unerwartet herabfallen.
Mit dem Firstanker-Bohrwagen werden anschließend die Firstanker gesetzt.
Das sind 1,2 Meter lange Gewindestangen mit einer Spreizhülse an der
Spitze, die - einem überdimensionalen Dübel vergleichbar - die
Salzschichten miteinander verbinden und ihnen so zu noch mehr Festigkeit
verhelfen.
Vor Ort
Die Bergleute in der Gewinnung arbeiten ,,vor Ort", also dort, wo das
Salz gewonnen wird. Der Laderfahrer holt mit seinem Fahrzeug, einem niedrig
gebauten diesel- oder elektrogetriebenen Radlader, dessen Schaufel bis zu
17 Tonnen fasst, das ,,Haufwerk" - also das Rohsalz, das durch eine
Sprengung zum Ende der vorangegangen Schicht aus der Lagerstätte gelöst
wurde - ,,vor Ort" ab und bringt es zu einer der insgesamt 70 ,,Kippstellen"
im Gruben betrieb.
Hier werden die Gesteinsbrocken einer tonnenschweren Laderfuhre binnen ein
bis zwei Minuten in einem Brecher, der mit einer meißelbestückten
Walze ausgestattet ist, zermalmt, bevor sie über Bandanlagen bis zu
15 Kilometer zum Schacht oder zum Bunker transportiert werden. Je Mann und
Schicht laufen im Werra-Revier 220 Tonnen Rohsalz über die Transportbänder.
Große Löcher
Unterdessen bereiten andere Bergleute die nächste Sprengung vor. Indem
das Salz aus der Lagerstätte gelöst wird, vergrößert
es sein Volumen um das 1,5-fache. So, wie sich die Bücher aus einem
Regal leichter entnehmen lassen, wenn sie dort locker und nicht gedrängt
stehen, muss während der Sprengung genug Platz entstehen, damit sich
das Gestein ausbreiten kann.
Zunächst kommt daher der Großlochbohrwagen zum Einsatz, der am
,,Einbruch", der sechs Meter breiten weiter in das Kaliflöz zu
treibenden Strecke, drei Löcher mit einem Durchmesser von je 280 Millimeter
auf eine Länge von sieben Meter in die Ortsbrust bohrt. Das Gestein
soll sich bei der Sprengung in diese Hohlräume ausbreiten können.
Der Bediener des Geräts gibt mit seiner Bohrung vor, wie die Strecke
vorgetrieben wird. Er muss sich am Lagerstättenverlauf orientieren.
Im Flöz ,,Hessen" markiert zum Beispiel ein natürlicher,
dunkler Tonstreifen den oberen Rand der Lagerstätte. Den unteren zeigen
drei Linien im Salz, die sogenannten ,,Würmer", an. Der Steiger
gibt dem Fahrer des Großlochbohrwagens die Mitte der Strecke vor,
nachdem er sich wiederum an Messpunkten des ,,Markscheiders" orientiert
hat, wie der auf unter Tage spezialisierte Vermessungsingenieur heißt.
.....kleine Löcher
Sind die großen Löcher fertiggestellt, kommt der Sprenglochbohrwagen.
Der Bohrhauer treibt etwa 60 Löcher von 35 Millimeter Durchmesser,
ebenfalls sieben Meter tief, ins Gestein. Computergesteuerte Bohrwagen,
an deren Entwicklung K+S maßgeblich beteiligt ist, arbeiten mit höchster
Präzision.
Nun ist der Sprenghauer an der Reihe. Er füllt die Bohrlöcher
mit gekörntem Sprengstoff und besetzt sie mit Zündern. Diese werden
zeitversetzt angesteuert, damit sich das Salz bei der Sprengung nach und
nach lösen kann.
Gezähmte Kraft
Bevor die Sprengung eingeleitet wird, müssen die Männer der Schicht
am Schacht oder schon ausgefahren sein, denn mit der Explosion werden womöglich
nicht nur Tausende von Tonnen Salz gelöst. Die Natur hat nämlich
in der Lagerstätte des Werra-Fulda-Reviers auch ihre ungestüme
Gewalt über Jahrmillionen konserviert.
Als es vor 14 bis 25 Millionen Jahren im Inneren der Erde rumorte, stieg
Magma mit hohem Druck empor. Die heutige Mitte Deutschlands war damals eine
Vulkanlandschaft. Die Magma durchdrang auch die Kalilagerstätte. In
bestimmten Bereichen ist seitdem nicht nur Basalt, erstarrte Lava, eingeschlossen,
sondern auch Kohlensäure unter hohem Druck in den Kristallstrukturen
gefangen.
Werden diese urzeitlichen Einschlüsse erschüttert, entlädt
sich die Kohlensäure mit unvorstellbarer Kraft. Die Bergleute haben
in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, durch geeignete technische Mittel
und Betriebsverfahren mit diesen Gefahren umzugehen.
Dazu gehört auch, dass sich bei der Sprengung niemand außerhalb
eines gesicherten Bereiches aufhält. Zusätzlich werden die zeitlich
gestaffelten Sprengungen in den benachbarten Gruben mit empfindlichen seismischen
Sensoren überwacht und registriert.
Noch
Reserven für Jahrzehnte
Fährt
die eine Schicht aus, wartet die nächste schon am Schacht, um einzufahren.
Derweil verziehen sich in der Tiefe die Staub- und Sprengschwaden. Wieder
wird der Steiger schauen, ob das Revier befahrbar ist, wieder werden Männer
in Radladern Tonnen von Salz zu Brechern fahren, werden Sprengungen vorbereitet
und Strecken gesichert.
Jahr
für Jahr treiben die Bergleute die Abbaufront um etwa 300 Meter voran,
bauen das Netz der untertägigen Fahrwege und Transportbänder aus.
Noch Jahrzehnte kann dieser Kreislauf fortdauern bis das südliche Ende
der Lagerstätte erreicht ist, das vor den Toren der Stadt Fulda liegt.